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von Alexander Moszkowski, 1912
Erster: Also?
Zweiter: Keine Fragen, sondern Antworten. Das größte Bühnenproblem aller Zeiten harrt der Entscheidung. Das deutsche Volk blickt auf uns. Wir werden den Faust aufführen.
Dritter: Endlich! Zeit war’s, den Goethe zu retten. Faust ist bekanntlich noch nie aufgeführt worden. Die paar lahmen Versuche in Wien, Berlin und Weimar zählen nicht. Wir werden dem Faust die Bühne erobern.
Vierter: Regie ist alles. Zeigen wir, was wir können. Hauptsache ist: originell!
Fünfter: Hauptsache ist: modern!
Sechster: Hauptsache ist: anders!
Erster: Um das Verständnis zu erhöhen . . .
Dritter: Wollen wir ja gar nicht. Um das Staunen zu erhöhen, — darauf allein kommt es an — empfiehlt es sich, den zweiten Teil vor dem ersten auszuführen.
Erster: Oder abwechselnd Szenen aus beiden Teilen.
Siebenter: Vor allem muß der Mephisto raus aus dem Stück. Der Kerl wirkt störend. Ist außerdem sehr schwer zu besetzen.
Achter: Drin bleiben kann er schon, aber umgearbeitet muß er werden. Radikal umgearbeitet. Überlassen Sie das nur mir. Ich habe da Witze — Mephisto-Witze, sage ich Ihnen!
Vierter: Aber wir reden doch vom Faust, also bleiben wir beim Pudel. Da lag bisher der wunde Punkt aller früheren Mise en scène. Hier müssen wir originell sein: der Pudel soll von einer jungen Dame dargestellt werden.
Zweiter: Sie unterschätzen die Schwierigkeit. Wir haben eine Meerkatze für die Hexenküche. Diese Meerkatze kann auch den Pudel übernehmen.
Sechster: Beginnen wir doch mit dem Anfang: Faust im drehbaren gotischen Zimmer.
Siebenter: Im Drehsessel. Es muß angeordnet werden, daß Faust während seines Monologes hundertmal rotiert.
Fünfter: Und dann erscheint Famulus Wagner in der Maske Siegfried Wagners. Modern! Diesem Siegfried übertragen wir auch die gesamte Komposition des Werkes.
Zweiter: Wird nicht gehen. Zu der Traumvision müssen wir unbedingt ein Potpourri aus dem Walzertraum spielen lassen.
Erster: Große Sorge macht mir, offen gestanden, Auerbachs Keller.
Vierter: Ganz einfach: wird Hofbräu, München.
Fünfter: Gar nichts dagegen einzuwenden. Aber nun ein besonderer Bluff!
Sechster: Nichts leichter als dieses. Neben dem Lokal ist eine Hochbahn gedacht. Da stürzen Faust und Mephisto mit dem ganzen Wagen von oben ins Etablissement.
Fünfter: Und am Schluß fliegen sie in einem Äroplan hinaus.
Siebenter: Wenn das Goethe erlebt hätte!
Dritter: Er hat’s eben so gut gemacht, als er’s verstand. Daher rührt auch die gänzlich unwirksame Walpurgisszene. Wem imponiert heute der Brocken?
Siebenter: Der Brocken muß raus! Da müssen die Dolomiten hinein. Drehbare Dolomiten!
Dritter: Und was geschieht mit Gretchen?
Achter: Umdichten! Erste Begegnung in einem Nacht-Café. Die ganze Bühne in bengalisch beleuchtetem Zigarettenqualm. Und nachher in der Kerkerszene kann Gretchen gegen Kaution aus der Haft entlassen werden. Hinterprospekt auf! Man sieht Gretchens Garten, wie er der Bebauung erschlossen wird. Apotheose, Schluß!
Erster: Genug für heute. An dem Gelingen ist nun nicht mehr zu zweifeln. Wir werden das Ding schon drehen!
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Siehe auch:
- Alexander Moszkowski lebt
- Kanonenfutter!
- Das Völkerrecht
- Anruf an den Weisesten der Weisen
- Ewiger Irrtum
- Der Verbieter
- Der Lyriker und die Umsatzsteuer: 1 ½ Prozent
- Weltgeschichte
- Generalstreik
- Der Hut der vierten Dimension
- Die Prinzessin im Theater
- Der dümmste Kerl der Welt
- Die Steuer-Ausstellung (ein Bericht aus dem Jahre 1890)
- Reichsmusikalische Zukunftsbilder
- An die leuchtende Geliebte
- Grundzüge einen reactionären Chemie
- 1001 Nacht im Verfassungsstaat
- Der künstliche Scheintodt
- Eine Theaterprobe
- Unsere Afrikaner
- Der Kaiser zahlt Steuern
- Die Weisen von Abdera
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