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Die Presse (Wien), 8. März 1863
Bielitz, 5.März. [Orig.-Corr.] (Judenhetze.) Neben dem humanen und freundlichen Benehmen, welches die hiesige christliche Bevölkerung gegenüber den einheimischen und fremden Israeliten beobachtet, erscheint der in unserer Schwesterstadt Biala gestern stattgefundene Vorfall im grellsten Lichte. Ein hieher zugereister jüdischer Schneider, Namens M. Waldmann, wollte sich in Biala zur Ausübung seiner Profession ansässig machen, und hat deshalb ein Gesuch beim dortigen k. k. Bezirksamte eingebracht, welches ihm auch bis zur endgiltigen Bewilligung die Eröffnung eines Arbeitslocals und Aushängung eines Schildes gestattete. Gestern jedoch rottete sich ein Pöbelhaufe zusammen, der den jüdischen Schneider und den ihm Unterstand gebenden Hauseigenthümer mit Mißhandlungen und Stürmung des Hauses bedrohte. Trotzdem der Bürgermeister von Biala den Leuten auseinanderzugehen befahl, mußte der arme Schneider doch sein Local schließen und das Schild herabnehmen. Auch haben die Versammelten noch nachträglich thatsächliche Excesse verübt, und an jedem gerade vorbeigehenden Israeliten ihr Müthchen zu kühlen gesucht, bei welcher Gelegenheit auch der jüdische ausgediente Soldat Jacob Lewi mißhandelt und nicht unbedeutend verletzt wurde. — Wol ist es bekannt, daß der k. k. Bezirksvorsteher in Biala von dem Wunsche beseelt ist, die mit der Verfassung verliehenen Rechte zur Geltung zu bringen, jedoch fehlt es ihm an Mitteln, um den Gesetzen Mit Nachdruck Achtung verschaffen zu können, und die hiesige Bevölkerung sieht der weitern Entwicklung erwartungsvoll entgegen.
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Siehe auch:
- Als noch nicht die Rede von der christlich-jüdischen Kultur des Abendlandes war
- Die katholische Kirche als Kinderräuber
- Juden dürfen bald in Jura promovieren
- Dieser Artikel ist Teil der Parallel-Berichterstattung über das Jahr 1863
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