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Berliner Gerichtszeitung, 12. März 1863
Am vergangenen Sonntag ließ hier der Stadtgerichts-Executor Wehner seine neun Kinder auf einmal taufen. Das älteste derselben war 17 Jahr alt, während das jüngste noch an der Mutterbrust lag. — Das seltene Ereigniß ist dadurch herbeigeführt worden, daß das älteste Kind, ein Mädchen, sich zu verheirathen beabsichtigt und zu diesem Zweck seitens des Predigers die Beibringung des Taufzeugnisses der Braut verlangt wurde. Ein solches war nicht zu beschaffen, da die Familie der Baptisten-Gemeinde angehört, deren Beamte zur Ausstellung öffentlicher Urkunden gesetzlich nicht berechtigt sind. Die Eltern mußten sich daher entschließen, das Versäumte nachzuholen und fanden es zweckmäßig, dies gewissermaßen summarisch zu thun, damit Beanstandungen der vorberegten Art bei den übrigen Kindern sich nicht wiederholen mögen. Der feierliche Akt wurde in der von Zuschauern überfüllten St. Nicolai-Kirche begangen. Bei den ältesten acht Täuflingen mußte selbstverständlich ihres bedeutenden Gewichtes wegen davon Abstand genommen der 35 Taufzeugen erschienen waren, erregte ungemeines Aufsehen. Der Kindtaufsschmaus soll indessen ein sehr lustiger gewesen sein. — Die ganze Familie ist nunmehr in die evangelische Landeskirche eingetreten.
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Hintergrund
Die obligatorische Zivilehe wird erst 1874 in Preußen und 1875 in ganz Deutschland eingeführt. Wer einer staatlich nicht anerkannten Religonsgemeinschaft angehört (die allgemein als „Dissidenten“ bezeichnet werden), kann nicht heiraten oder muß zu einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft übertreten.
- Dieser Artikel ist Teil der Parallel-Berichterstattung über das Jahr 1863
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