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Neue Freie Presse (Wien), 17. Juni 1880
[Das Grab von Sarah Bernhardt.] Man schreibt uns aus Paris: Es steht geschrieben, daß die in London gastirende Tragödin trotz ihrer Abwesenheit dem Pariser Publicum fortwährend Stoff zum Klatschen bieten muß. Ihre neueste Caprice ist nämlich nicht mehr der Sarg in ihrem Schlafzimmer, sondern ihr — Monument auf dem Père-Lachaise-Kirchhof. Es ist ein Marmor-Sarkophag mit einem Kreuze, überaus ernst und einfach und mit dem einzigen Worte als Inschrift: „Bernhardt“. Ganz wie man etwa „Goethe“ oder „Molière“ setzen würde! Das Grabmal erregt um so größeres Aussehen, als in der nämlichen Allée des Anglais und wenige Schritte von Sarah’s Ruhestatt entfernt ein zweites Monument mit großem Kreuze die Inschrift trägt: „Croizette„, woraus also erhellt, daß die beiden feindlichen Rivalinnen vom Théâtre Français wenigstens der Tod zusammenführen dürfte. Während aber das erste Grab schmucklos dasteht, ist dasjenige von Sophie Croizette mit Blumen bedeckt. Sie pflegt also ihre zukünftige Residenz, es sei denn, daß die zahlreichen Blumenspenden zarte Huldigungen leidenschaftlicher Anbeter wären, die sich nicht damit begnügten, ihr Bouquets in die Garderobe zu senden, sondern die ihr Andenken zum voraus ehren möchten. Eine solche Liebeserklärung auf dem Grabe ist allerdings neu.
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Anmerkung
Alles etwas verfrüht: Sarah Bernhardt stirbt erst 1923. Immerhin wurde sie wirklich auf dem Friedhof Père Lachaise bestattet (auf dem Grab steht auch ihr voller Name, nicht nur der Nachname). Sophie Croizette lebt nur bis 1901 und wurde anderswo beerdigt: auf dem Cimetière de Passy.