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Berliner Wespen, 21. Juni 1878
Mehrere Criminalbeamte nahmen vor einigen Tagen eine Haussuchung vor, um eines zu finden, in welchem sie noch nicht gesucht hatten. — Ein ungeheures Feuer entstand in Deutschland in der Verfolgung der Socialdemokratie. Leider hat sich dabei das noch nicht aufgeklärte Versehen ereignet, daß bei dem Versuch, einige brennende Fragen zu löschen, Oel in’s Feuer gegossen wurde. — Vor einigen Tagen traf den Liberalismus das unverhoffte Glück, daß er von dem übrigens anständig gekleideten Freiherrn von Friesen für unsittlich gehalten wurde. — Als trauriger Beweis dafür, daß die Luft in Berlin und anderen Städten augenblicklich nicht rein ist, diene die Thatsache, daß alle Complote aus der Luft gegriffen werden. — Am gestrigen Tage war es in Deutschland noch immer nicht gelungen, sämmtliche Denunzianten dingfest zu machen. Sie halten sich noch in Massen versteckt und beleidigen die Majestät der persönlichen Sicherheit.
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Hintergrund
Am 2. Juni 1878 verübt Eduard Nobiling ein Attentat auf den deutschen Kaiser Wilhelm I., bei dem dieser schwer verletzt wird. Bismarck ergreift die Gelegenheit, um den Reichstag aufzulösen und einen Wahlkampf gegen die Liberalen zu führen. Auch wenn Nobiling nicht zu ihnen gehört, werden die Sozialdemokraten für den Anschlag verantwortlich gemacht. Gerüchte und Denunziationen schießen nun in Deutschland ins Kraut.
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Zum Hintergrund ist bei Libera Media auch ein Buch mit den Reichstagsreden von Eugen Richter 1878 gegen das Sozialistengesetz erschienen. Neben einer ausführlichen Einleitung zum Hintergrund gibt es zahlreiche Erläuterungen zum Text und weiterführende Materialien. Da Buch ist erhältlich über Amazon (einfach auf das Bild klicken):
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Siehe auch:
- Um die Zeit zu vertreiben
- Das zweite Attentat
- Die erste Session 1878 (Teil 4)
- Eugen Richter gegen das Sozialistengesetz
- Dieser Artikel ist Teil der Parallel-Berichterstattung 1878
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