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Berliner Wespen, 28. Juni 1878
Wir fahren im Folgenden fort, die Liste der noch ungemachten Erfindungen zu vervollständigen, um unseren speculativen Technikern neue Perspectiven zu eröffnen. Es fehlen uns noch:
12. Der Incubus. Wie aus dem Wahlkreis Schwarzburg-Sondershausen gemeldet wird, hat der bisherige dortige Abgeordnete Valentin gegründete Aussicht, bei der Wahl am 30. Juli durchzufallen. Wir stehen somit vor der Gefahr, demnächst tagelange Reden und wochenlange ununterbrochene Debatten über ein und denselben Gegenstand zu erleben. Diese Gefahr soll der Incubus abwenden. Wir stellen uns denselben als eine im Reichstag aufzuhängende Abart der Schwarzwälder Uhr vor, aus welcher von fünf zu fünf Minuten ein Kukuk hervorspringt, der statt seines zoologlichen Rufes den parlamentarischen „Schluß! Schluß!“ auszustoßen hat. lncubus heißt das Instrument nach dem Goetheschen Citate: lncubus, lncubus tritt hervor und mache den Schluß! — Stephan hat dasselbe Redefallbeil, Geduldsfaden, Haltemaul oder einfach den Rest zu nennen.
13. Der Lyncher. Das jetzt so beliebte Lynchen hat neben seinen nicht wegzuleugnenden Annehmlichkeiten auch seine Schattenseiten; man kann in dem Gedränge bestohlen werden, wo nicht gar selbst Prügel bekommen. Unter dem „Lyncher“ stellen wir uns einen Apparat von der Form eines mächtigen Krakens vor, der, an einer belebten Straßenecke aufgestellt, jeden zehnten Passanten mit seinen Fangarmen ergreift und windelweich haut. — Stephan möge ihn: Volkswille, Eckenhauer, Straßenstrafe oder Gesinnungsknüppel nennen.
14. Der Inventoindicator. Will ein Erfinder erfinden, so muß er zunächst wissen, was er erfinden will, und dies letztere wird in einer Zeit, wo bereits fast Alles erfunden ist, immer schwerer. Es dürste daher eine dankbare Ausgabe sein, ein Maschinchen zu construiren, welches selbstthätig Erfindungsprobleme stellt. Dieses Maschinchen könnte eine Art Kaleidoseop sein, dessen einzelne Steine Aufschriften tragen wie: Mikro, Tachy, Makro, Tele, Phono, Scop, Stat, Graph etc., durch deren Zusammenschüttelung eine Menge neuer Kunstausdrücke, welche ebensoviel Probleme enthalten, entstehen würden. — Stephan hat den Apparat: Erfindungsentdecker, Entdeckungserfinder, Vorschläger, Einfaller oder Edisönchen zu taufen.
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Anmerkungen
- Wir würden auf Alexander Moszkowski als Autor dieses ungezeichneten Beitrags tippen, der immer wieder Spaß daran hatte, Erfindungen zu erfinden.
- Die Prognose erweist sich als richtig: der nationalliberale Abgeordnete Heinrich Friedrich Valentin verliert tatsächlich bei der Wahl 1878 seinen Sitz an die Freikonservativen.
- Der Generalpostdirektor Heinrich Stephan (1885 geadelt) ordnete 1875 die Eindeutschung von postalischen Begriffen an, worüber sich die „Berliner Wespen“ ohne Ende lustigmachen. In der lammfrommen Sichtweise der deutschen Wikipedia nimmt sich das so aus: „Von Stephan erlangte auch hohe Verdienste auf dem Gebiet der Sprachpflege, indem er sich um verständliche deutsche Ausdrücke im behördlichen Sprachverkehr bemühte. Mit Erlass vom 21. Juni 1875 führte er 671 Verdeutschungen im Postwesen ein.“
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Siehe auch:
- Das Mikrotroph
- Mikrophon-Lyrik
- An die leuchtende Geliebte
- Patentausstellung der “Berliner Wespen”
- Eine große Umwälzung – Freisinnige Zeitung, 24. Juni 1891
- Ein elektrisches Haus – Freisinnige Zeitung, 22. Mai 1891
- Edisons neueste Erfindung
- Brandheiß von der Gamescom 1881
- Dieser Artikel ist Teil der Parallel-Berichterstattung 1878
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