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[Eugen Richter: Im Alten Reichstag, Band 2, 1896, Seite 94-95.]
Es folgten nunmehr rasch auf einander die einzelnen Schritte in der wohlvorbereiteten Aktion. Am 28. Oktober richtete Fürst Bismarck in seiner Eigenschaft als auswärtiger Minister Preußens an die preußischen Gesandten bei den deutschen Höfen einen vertraulichen Erlaß, in welchem er dieselben aufforderte, über die Auffassung der verbündeten Regiernngen zu berichten in betreff eines Antrags auf Revision des Zolltarifs, dessen Einbringung in den Bundesrat er bei dem preußischen Staatsministerium angeregt habe. Nicht der Handelsminister, auch nicht der Finanzminister figurieren hier als Urheber und Vertreter dieses den Gesandten rnitgeteilten Programms. In den früheren Jahren hatte umgekehrt Fürst Bismarck stets Camphausen gegenüber versichert, daß es nicht seine Aufgabe sein könne, solche Reformpläne aufzustellen. Die beiden zuständigen Ressortminister Hobrecht und Maybach ließen sich diese Behandlung, als ob sie nur Untergebene Ministerialbeamte wären, auch ruhig gefallen.
Auf Grund einer Vorlage vom 12. November beschloß alsdann der Bundesrat die Einsetzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs. In dem Schreiben des Reichskanzlers, welches die Niedersetzung dieser Kommission anregte, wurde betont, daß man nach Ablauf der Handelsverträge den deutschen Erzeugnissen in erhöhtem Niaße die Versorgung des deutschen Marktes vorbehalten und zugleich Verhandlungsmaterial schaffen müsse, um später zu versuchen, im Wege neuer Verträge die Schranken für die deutschen Exportinteressen zu beseitigen. Es wurde auf die im Gange befindlichen Enqueten über die Lage der Eisenindustrie-, der Baumwollen- und Leinenindustrie Bezug genommen, aber auch sonst die Einführung höherer Eingangszölle für andere Artikel angedeutet. Die Kommission soll ihre Arbeit auf den gesamten Inhalt des Tarifs mit Ausnahme derjenigen Finanzartikel erstrecken, über welche auf der Heidelberger Ministerkonferenz Einverständnis erzielt worden ist und welche einer gesonderten Bearbeitung unterliegen. Am 12. Dezember genehmigte der Bundesrat den Antrag des Reichskanzlers ohne sich damit die Motive des Reichskanzlers zu eigen zu machen. Die Kommission wurde aus 15 Mitgliedern zusammengesetzt, worunter drei von dem Reichskanzler, drei von der preußischen Regierung zu bestellen find. Ende Dezember wurde Varnbüler vom Reichskanzler zum Vorsitzenden der Kommission ernannt, nachdem er es abgelehnt hatte, in anderer Eigenschaft in die Kommission einzutreten.
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Siehe auch:
- Briefliche Interpellation
- Der Antrag der 204
- Die Heidelberger Steuerkonferenz
- Annahme des Sozialistengesetzes
- Der Kronprinz
- Verhalten der Fortschrittspartei
- Fürst Bismarck und die Nationalliberalen
- In der Kommission
- Die erste Lesung
- Die Mehrheitsparteien
- Ein neues Sozialistengesetz
- Das Wahlergebnis
- Wahlbeeinflussungen
- Versprechung von Steuererlassen
- Dieser Artikel ist Teil der Parallel-Berichterstattung 1878
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