Unter anderem über die Rehabilitierung des Molotow-Ribbentrop-Pakts durch Putin:
Der erwähnte Schriftsteller ist: Gustaw Herling-Grudziński.
Unter anderem über die Rehabilitierung des Molotow-Ribbentrop-Pakts durch Putin:
Der erwähnte Schriftsteller ist: Gustaw Herling-Grudziński.
Aus der Diskussion auf Facebook zum Artikel „100 Millionen Deutsche“:
„Bei einem Bevölkerungsanteil von 5% für Moslems ist eine Islamisierung etwa so realistisch wie die Erwartung, daß das Hochdeutsche verschwindet und alle bald nur noch Sächsisch sprechen werden. Oder daß die FDP demnächst eine Zweidrittelmehrheit bekommt. Oder daß Basketball der neue Nationalsport wird. Oder daß die Kommentare auf Facebook von Leuten kommen, die den Artikel gelesen haben und etwas dazu zu sagen haben.“
Neue Freie Presse (Wien), 7. Januar 1885
Während allmälig der Adressensturm für den Fürsten Bismarck erstirbt, sind jetzt Vertrauenskundgebungen für die Majoritäts-Mitglieder des deutschen Reichstages in Betreff des Votums vom 15. December zu verzeichnen. Eine vorgestern in Berlin abgehaltene Arbeiter-Versammlung sprach in einer einstimmig gefaßten Resolution ihr Einverständniß mit der Abstimmung der Majorität aus, und der Abgeordnete Bamberger erhielt, wie bereits telegraphisch erwähnt, von seinen Alzeyer Wählern eine Vertrauens-Adresse, worin die Erwartung ausgesprochen wird, daß die Abgeordneten der Deutsch-freisinnigen Partei fortfahren werden, die Rechte des Volkes und des Parlaments in ruhiger und sachlicher Weise zu wahren.
Hintergrund
Am 15. Dezember 1884 verweigert die Mehrheit des Reichstags Bismarck eine zweite Direktorenstelle im Auswärtigen Amt. Der Reichskanzler schaltet sich in die Debatte ein: er deutet seinen Rücktritt an und stilisiert die Frage zu einer, die die Sicherheit Deutschlands bedroht. Im Nachgang setzt eine Kampagne von Seiten seiner Anhänger gegen die Opposition ein, insbesondere gegen die Freisinnigen.
Berliner Börsenzeitung, 6. Januar 1885
— Zu den gewöhnlichen Zerstreuungen des Sultans gehört es, täglich ein Stündchen am Klavier zu sitzen und sich an den neuesten Schöpfungen der abendländischen Tondichter zu ergötzen. Obwohl früher ein Gegner derselben, ist er seit dem Tode des großen Meisters auch ein Freund der Wagner’schen Musik geworden. Auch die beiden Söhne Abdul Hamid’s, Selim und Abdul Medschid, sind vortreffliche Klavierspieler, ebenso auch die Mutter des ersteren Prinzen, welche zugleich auch die erste Gattin ihres hohen Gemahls ist. Ihren Unterricht in der Musik hat die hohe Dame theils bei Frl. Dadian, der Dolmetschin des Kaiserlichen Harems, theils wieder bei ihrem Gemahl selbst, zur Zeit als derselbe noch ein einfacher Prinz war, genommen. Diese Dame ist nämlich eine Tochter des verstorbenen Sultans Abdul Aziz, der ihr eine vortreffliche Erziehung zu Theil werden ließ. Als sie nun eines Tages einen Reitlehrer suchte, da bot sich ihr ihr Cousin Abdul Hamid als solcher an. Es dauerte nicht lange, so waren Lehrer und Schülerin in einander verliebt und bald nachher waren Beide auch ein glückliches Pärchen. Abdul Hamid unterläßt es noch heute nicht, sich jeden Abend bei seiner Lieblingsgattin einzufinden und ihr ein Musikstück auf dem Klavier vorzutragen, oder Beide spielen vierhändig zusammen. Vor Kurzem hat nun der Beherrscher aller Gläubigen ein neues Stück für seine Hauscapelle componirt und dasselbe seiner Lieblingsgattin gewidmet.
Siehe auch:
Neue Freie Presse (Wien), 5. Januar 1885
[Die Explosion auf der Londoner Gürtelbahn.] Am 2. d[es]. [Monats] fand, wie telegraphisch bereits gemeldet wurde, kurz nach 9 Uhr in dem Tunnel der unterirdischen Gürtelbahn zwischen den Stationen Gowerstreet und Kings-Cross eine Explosion statt, die, wie jeder Grund zur Annahme vorhanden ist, von den Feniern mittelst Dynamits und Schießbaumwolle ins Werk gesetzt wurde. Dieser angenscheinliche Zweck ist indeß bei dem Attentats mißlungen, denn die Bahnzüge, welche zur Zeit der Explosion durch den erwähnten Tunnel fuhren, sind nicht wesentlich beschädigt worden. Die Gasflammen in den Zügen erloschen und etliche Passagiere wurden durch die Splitter zerschmetterter Fensterscheiben leicht verwundet. In der Gowerstreet-Station wurden durch die Gewalt der Explosion mehrere Bahnbedienstete heftig niedergeschleudert und alle Gasflammen ausgelöscht, so daß einige Zeit völlige Finsterniß herrschte. Inzwischen langte der von der Explosion betroffene westwärts gehende Zug an. Die Passagiere wurden zum Aussteigen aufgefordert, aber die weiblichen mußten fast alle in ohnmächtigem Zustande aus den Waggons getragen werden. Der Zug, dessen Fenster fast alle zerschmettert sind, wurde auf ein Nebengeleise geschoben, wo er der Untersuchung seitens der Regierungs-Experten harrt. Der nach Osten gehende Zug wurde in ähnlicher Weise beschädigt, aber die Passagiere kamen meist mit dem bloßen Schrecken davon. Allem Anscheine nach wurde der Sprengstoff von einem der beiden Züge gegen die Mauer des Tunnels geschleudert. Eine vou der Bahnbehörde sofort angestellte Untersuchung ergab, daß die Explosion die in dem Tunnel befindliche Signalstation theilweise zertrümmert und etwa 100 Meter davon ein Loch von vier Fuß im Durchmesser und fünf bis sechs Zoll Tiefe in den Erdboden gerissen.
Siehe auch:
Julius Stettenheim, „Burlesken“ 1899
Auf einer Haupttour kam einmal ein Floh
In des Professors Zimmer, wo
Ein trefflich Mikroskop, wie es der Meister
Tagtäglich brauchte, stand. Das Tierchen sprang —
Denn keines ist neugieriger und dreister —
Hinauf aufs Instrument und blickte lang
Ins Glas. Was musste es entdecken!
Es stand gelähmt fast da vor
Schrecken, „Wer hätte je geglaubt,“ schrie es entsetzt,
„Dass solche Bestien noch jetzt
Auf dieser Erde existieren!
Nie hörte ich von solchen Tieren,
Wie hier vorhanden eins. Halb ist es Dromedar,
Halb Elefant, es kommt mir vor sogar,
Als hab’ es etwas auch vom Lämmergeier!“
Voll Abscheu sprang davon der kleine Schreier.
Was war’s, was er gesehen und ihn so
Mit Grauen hat erfüllt? Es war ein Floh.
Siehe auch:
Bei Libera Media gibt es kommentierte Neuauflagen der Werke von Julius Stettenheim (erhältlich über Amazon, einfach auf das Bild klicken):
„Den rechten Kämpfer jedoch für die Rechte und Freiheiten des Volkes erkennt man daran, daß er auch in den für den Liberalismus ungünstigen Zeiten auf dem Platze bleibt.“
Neue Freie Presse (Wien), 3. Januar 1885
London, 3. Januar. Gestern Abends um 9 Uhr fand auf der unterirdischen Eisenbahn zwischen den Stationen Gowerstreet und Kingscross eine Explosion statt. Die Eisenbahn-Beamten behaupten, daß dieselbe durch Dynamit verursacht worden sei. Die Fensterscheiben der Eisenbahnwagen wurden zertrümmert und das Gas erlosch. In die Mauer des Tunnels wurde ein Loch von zwei Fuß im Quadrat gerissen. Die Explosion war so heftig, daß die in der Nähe liegenden Gebäude erschüttert wurden. Drei Personen wurden leicht verletzt.
Siehe auch:
Neue Freie Presse (Wien), 3. Januar 1885
[Die Neujahrsnacht in Berlin.] Wie uns bereits telegraphisch angezeigt wurde, ist die Neujahrsnacht in Berlin gewohntermaßen wieder sehr „geräuschvoll“ verlaufen, und es bedurfte eines zahlreichen Aufgebotes von Polizei, um gröbere Ausschreitungen der um Mitternacht mit wüstem Lärm die Straßen durchziehenden Volkshaufen zu verhindern. Daß man übrigens auf Excesse gefaßt sein mußte, entnehmen wir folgender Notiz der Berliner „Volkszeitung“: „Gerade nicht zum Ruhme Berlins in den Augen der Fremden gereichte folgender Sylvestergruß im Café Bauer: „In der Nacht des 31. December wird das Café schon um 11 ½ Uhr geschlossen.“ Das erste Cafe Berlins muß eines der glänzendsten Geschäfte opfern, weil es den Schaden nicht ausgleicht, den rohe Horden zu Ehren des neuen Jahres anrichten.“ Es ist recht schmeichelhaft für die Bevölkerung Berlins, wenn ein demokratisches Blatt von derselben in diesem Tone spricht.
Siehe auch:
Berliner Börsenzeitung, 1. Januar 1885
— In einer Rückschau auf die Aktion der Dynamitpartei seit dem Jahre 1881 gelangt die „New-York Times“ zu der Schlußfolgerung, es liege kein absoluter Beweis vor, daß die Verschwörung amerikanischen Ursprungs sei; sie giebt indeß zu, daß bekannt gewordene Thatsachen in hohem Grade für eine solche Ansicht sprechen. Hiervon abgesehen indeß behauptet das Blatt, daß die den Irländern gewährte Nachsicht ein Bruch der unter Nationen üblichen Höflichkeit ist, und daß überhaupt Gründe vorliegen, warum die Regierung der Vereinigten Staaten in der Sache vorgehen sollte. Die „Times“ empfehlen erstens ein Amendement der Neutralitätsgesetze, wie von Präsident Arthur angerathen wurde; zweitens, daß eine Jury prüfen solle, ob die Irische Presse in den Vereinigten Staaten für Aufreizung zur Verübung von Verbrechen strafbar ist; und wenn nicht, daß eine Gesetzgebung vorgeschlagen werde, welche diesem Zwecke genügen würde; und schließlich, daß ein Gesetz in Betreff der Dynamitpartei angenommen werden sollte, analog mit dem, welches gegen das Duell und gegen Wettboxen in Kraft ist, und unter welchem die Haupttheilnehmer, wenn sie Amerikaner sind, und deren Genossen, wenn sie, obgleich Ausländer, in Amerika ansässig sind, straffällig werden, obgleich das Verbrechen unter ausländischer Jurisdiction verübt worden ist.
Siehe auch:
In seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ schreibt Thilo Sarrazin im Kapitel „Eroberung durch Fertilität?“:
„Im Mai 2004 war in der Zeitung Hürriyet zu lesen, dass der deutschtürkische Unternehmer Vural Öger bei einem Essen mit türkischen Unternehmern geäußert habe: „Im Jahr 2100 wird es in Deutschland 35 Millionen Türken geben. Die Einwohnerzahl der Deutschen wird dann bei ungefähr 20 Millionen liegen.“ Laut Hürriyet fügte er hinzu: „Das, was Kanuni Sultan Süleyman 1529 mit der Belagerung Wiens begonnen hat, werden wir über die Einwohner, mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen, verwirklichen.“ Später erklärte der Unternehmer, das sei ein Witz gewesen, er habe die deutschen Frauen nur dazu aufrufen wollen, mehr Kinder zu bekommen.“
Jedem Großdeutschen wird es bestimmt warm ums Herz werden, wenn Vural Öger Wien für eine deutsche Stadt hält. Aber was ist an Ögers Zahlen wirklich dran? Sarrazin stimmt ihm ausdrücklich zu, denn er fährt fort: „Witz oder nicht, die Zahlen stimmen jedenfalls.“ Allerdings ist er gerade noch klug genug, einen Vorbehalt einzuschmuggeln, daß es „absolut realistisch“ sei, „dass die muslimische Bevölkerung [sic!] durch eine Kombination von hoher Geburtenrate und fortgesetzter Einwanderung bis 2100 auf 35 Millionen Menschen wachsen kann.“
Das ist ja nicht, was Vural Öger behauptet. Und wenn man gleich zwei Joker einsetzen darf, die Geburtenrate und die Einwanderung, dann kann man natürlich vieles zeigen. Wenn 7 Millionen im Jahre 2080 einwandern, die pro Ehepaar bis 2100 je acht Kinder haben, dann ist es „absolut realistisch“, daß es 35 Millionen geben kann. Wie auch an anderen Stellen geht Sarrazin hier nach einem Muster vor: Er sucht einen Eindruck beim Leser zu erwecken und dann zu bestärken, der im Nebensatz aber sogleich wieder relativiert wird, sodaß er sich im Zweifelsfall rausreden kann.
Zahlenspiele
Hier soll es nicht darum gehen, ob die „Einwohnerzahl der Deutschen“ 2100 richtig ist. Im Hintergrund wird, so kann man erschließen, wohl mit den offiziellen Fertilitätszahlen hantiert, die aber aufgrund eines Artefakts, des sogenannten „Tempo-Effekts“, die wirkliche Lage verzerrt wiedergeben. [1] Korrigiert man dafür, dann kommt man auf ungefähr 35 Millionen 2100 und nicht 20 Millionen, wenn man absolut nicht realistisch davon ausgeht, daß Deutschstämmige sich nur untereinander halten werden, was sie ja auch heute schon nicht tun. Diesen Fehler kann man Vural Öger nicht allein vorhalten, denn auch Thilo Sarrazin liegt ja falsch und zweifelt diese Zahl nicht an.
Wie steht es nun um die Zahl der Türkischstämmigen, mal angenommen, daß diese sich nur untereinander halten werden, was ebenso unrealistisch ist?
Gastarbeiter aus der Türkei kamen ab dem Anwerbeabkommen von 1961. Als 1973 ein Anwerbestopp verfügt wurde, gab es etwa 900.000 Einwanderer aus der Türkei in Deutschland, von denen viele blieben. Zumeist waren es Männer, die etwas später ihre Frauen und Kinder nachholten, die noch in der Türkei lebten. Um die Zeit, als Vural Öger seine Behauptung aufstellte, gab es etwa 2,5 Millionen Türkischstämmige in Deutschland, heute sind es ungefähr 3 Millionen.
Das sieht auf den ersten Blick nach einem rasanten Anstieg aus. Riesige Familien wurden dann wohl nachgeholt, und die Kinderzahlen waren astronomisch – das wären jedenfalls die üblichen Verdächtigen. Und wenn man diesen Anstieg nun fortschreibt, mit einer Verdreifachung etwa alle 40 Jahre, dann kommt man bei den 35 Millionen aus, von denen Öger fabuliert. Sein Problem ist dabei nicht, daß er falsch rechnet, sondern daß er einen Denkfehler macht, den viele begehen. Immerhin kann man ihm zugestehen, daß es sich bei ihm um einen ehrlichen Irrtum handelt und er das, was er sagt, auch glaubt. Bei Thilo Sarrazin ist das nicht so klar.
Auflösung
Wieviele Türkischstämmige wird es denn 2100 geben, wenn es wie bisher weitergeht und man nur unter sich bliebe? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach.
Die Fertilität (wieviele Kinder eine Frau über ihr Leben hat) lag bei den ursprünglichen Einwanderern zwar höher als bei den Deutschen (in den 1970er und 1980er auch deutlich höher, anfangs über 4), fiel aber schon in den 1980ern auf etwa 2,5. Das ist in etwa dasselbe Niveau wie bei den Deutschen während des Babybooms in den 1960er Jahren. In der zweiten Generation näherte sich die Fertilität dann mit gut 2 oder sogar darunter dem allgemeinen Niveau bereits deutlich an. [2]
Eine Fertilität von gut 2 bedeutet aber, daß eine Bevölkerung nicht mal mehr ganz ihre Größe hält. Man braucht nämlich etwas mehr zum Ausgleich für diejenigen, die nicht alt genug werden, Kinder zu haben, weshalb das Ersatzniveau bei etwa 2,1 liegt. Die Fertilität in türkischen Städten liegt heute bei 1,7, also kaum über dem hiesigen Niveau. [2] Es ist von daher nicht unplausibel, daß die Annäherung auch in Deutschland weitergehen wird.
Aber selbst wenn man einmal davon ausgeht, daß die Fertilität über Generationen auf dem Ersatzniveau von 2,1 verharren würde, dann folgt daraus nur, daß die Bevölkerung konstant bleiben wird. Damit wird es aber im Jahre 2100 höchstens drei Millionen Türkischstämmige geben, und eher weniger!
Wie kann das sein?
Auf den ersten Blick sieht das alles wie ein Widerspruch aus: Über ein halbes Jahrhundert gibt es einen starken Anstieg, und dann soll es auf dem Niveau einfach stehenbleiben? Der Grund ist dabei gar nicht so kompliziert. (Eine ausführlichere Erklärung auch zum verwendeten Modell und den Annahmen findet sich im Artikel: „Misinterpreting Growth of Immigrant Populations“.)
Nehmen wir an, daß es 1973 etwa 1,1 Millionen Erwachsene gab, die letztlich nach Deutschland einwandern würden und von denen etwa die Hälfte Männer und die Hälfte Frauen waren, also etwa 550.000 Ehepaare. 1973 wären recht viele der Frauen noch nicht in Deutschland, sie würden erst etwas später nachgeholt. Die Annahme ist hierbei, daß die Einwanderer in einem mittleren Alter von ungefähr 25 Jahren kommen. Damit haben sie schon einige Kinder, gut 300.000, die teilweise in Deutschland sind, teilweise noch nachgeholt werden. Was passiert nun?
Die 1,1 Millionen Erwachsenen werden zusätzlich zu den Kindern, die schon 1973 da sind, auch noch weitere Kinder bekommen. Bei einer Fertilität auf Ersatzniveau wären das im Schnitt 2,1. Damit verdoppelt sich die Bevölkerung schon sehr bald. Dargestellt ist das im nebenstehenden Bild: Die Einwanderer sind der blaue Streifen unten. Der dunkelrote Streifen darüber sind ihre Kinder. Es gibt also eine Steigerung um 100%, ohne daß etwas Besonderes passiert wäre. Jede Familie hat im Mittel gut zwei Kinder.
Nach etwa 20 Jahren sind die Kinder so alt, daß auch sie Kinder bekommen. Das ist der grüne Streifen. Und etwas später kommen dann die Urenkel (lila), Ururenkel (mittelblau) und Urururenkel (orange), ja sogar die Ururururenkel (hellblau) hinzu, wobei die Unterscheidung auf Dauer schwierig wird, weil die Generationen sich überlappen und damit die Kinder nicht mehr gut zuordenbar sind.
Das Mißverständnis liegt nun darin – und man könnte Jahrzehnte an Einwanderungsdebatten darauf reduzieren! –, daß man vom Anstieg in den ersten beiden Generationen auf die Zukunft schließt, als wenn es immer weiter mit dieser Geschwindigkeit hochgehen würde. Aber das ist nicht so, denn wie man an dem Streifen für die ursprünglichen Einwanderer sieht: sie sterben langsam aus, und etwas später auch ihre Kinder, usw. Und deshalb ersetzen weitere Nachkommen nur die vorherigen Generationen, die langsam verschwinden. Beides gleicht sich nach etwa einem halben Jahrhundert aus, weshalb sich der Wert bis auf leichte Schwankungen, die immer mehr abklingen, bei 3 Millionen einpendelt.
Gefördert wird der Trugschluß, als wenn es rasant immer weiter nach oben gehen würde, noch durch einen zweiten Effekt. Nicht alle, um die es geht, sind gleich von vornherein in Deutschland. Ein Teil von ihnen wird erst etwas später nachgeholt. Wenn das recht gleichmäßig über das erste Vierteljahrhundert ginge, dann würde man in Deutschland nur den orangen Teil in der folgenden Grafik sehen. Der grüne Teil wären diejenigen, die noch in der Türkei sind. Die Familienzusammenführung ist dabei auch nicht, was manchmal daraus gemacht wird: Nachgeholt werden Ehefrauen und einige minderjährige Kinder, keineswegs weitläufige Verwandte. Aber dennoch verstärkt das den scheinbaren Anstieg gerade zu Anfang.
Es ist durchaus verständlich, aber schlichtweg falsch, daß man daraus den Schluß ziehen darf, als wenn es sich um eine extrem schnell wachsende Bevölkerung handeln würde. Wegen der Fertilität auf Ersatzniveau wächst die Bevölkerung nämlich überhaupt nicht! Die richtige Sichtweise ist hier, daß von vornherein 3 Millionen da sind, nur der ältere Teil der Bevölkerung niemals einwandert. Erst über die Zeit baut sich der ältere Teil der Bevölkerung in Deutschland auf, wenn die Einwanderer und ihre Kinder selbst in das Alter kommen. Daß es Familienzusammenführung gibt, spielt auch keine wirkliche Rolle. Dabei geht es ja nur darum, wo jemand ist, den es so oder so aber längst gibt. Dadurch wächst auch nichts. Es handelt sich nur um einen scheinbaren Anstieg, den man in Deutschland wahrnimmt.
Es sei angemerkt, daß die Wirklichkeit ein wenig, aber nicht viel vertrackter ist. So gab es, wie erwähnt, in der ersten Generation eine höhere Fertilität, was aber nur bedeutet, daß die Ausgangsbevölkerung ein wenig kleiner gewesen sein sollte und es später noch einen kleinen weiteren, aber einmaligen Aufbau geben würde. Es gab außerdem etwas an Rückwanderung, ein gewisser Teil der Einwanderer verheiratete sich mit anderen Einwanderern oder Deutschen, womit die Kinder nicht mehr zuordenbar sind. Und die Generationen gehen auf Dauer durcheinander. Aber all das ändert nur wenig an der Hauptaussage: Für fünfzig Jahre gibt es einen steilen Anstieg, und danach geht es nicht mehr weiter.
Und wie wird es 2100 sein?
Seriöserweise sollte man keine solche Kaffeesatzleserei betreiben. Dennoch hier der Versuch einer Vorhersage:
Fußnoten
[1] Marc Luy & Olga Pötzsch: „Schätzung der tempobereinigten Geburtenziffer für West- und Ostdeutschland, 1955-2008“, Comparative Population Studies – Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jahrgang 35, 3 (2010), Seite 569-604, 2011.
[2] Katharina Wolf: „Fertility of Turkish migrants in Germany: Duration of stay matters“, MPIDR Working Paper WP 2014-001, 2014, Tabelle auf Seite 17. Und: Werner Haug, Paul Compton, Youssef Courbage: The demographic characteristics of immigrant populations, Tabelle auf Seite 227. Sowie: Susanne Schmid Martin Kohls: „Generatives Verhalten und Migration“, 2011, Tabelle auf Seite 189, wo die Fertilität 2006-2008 für türkischstämmige Frauen sogar als nur 1,8 geschätzt wird.
von Alexander Moszkowski, 1894
Amerika, Du hast es besser,
Als unser alter Kontinent,
Wo sich kein einz’ges Staatenwesen
Vom Defizite jemals trennt;
Des Goldes Flut, nicht mehr zu messen,
Schwillt immer höher an bei Dir,
Dein Fiskus taucht in Schätzen unter,
Im Überfluß erstickt er schier.
Dein Präsident hat oft verkündet,
So kann es nicht mehr weiter geh’n,
Die Kassen sind gefüllt zum Platzen,
Und irgend etwas muß gescheh’n;
Man muß, zu steuern diesem Übel,
Gesetze machen, eh’s zu spät,
Sonst wird der Überfluß an Mitteln
Zu einer Staats-Kalamität.
Was wirst Du thun? wirst Du vermehren,
In Zukunft der Beamten Schar?
Wirst Du im Edelmut verdoppeln
Jedwedes Richter-Honorar?
Wirst Du dem Präsidenten bauen
Ein neues Haus von Marmelstein?
Wirst Du Paläste konstruieren
Und sie dem Dienst der Künste weih’n?
Du kannst weit mehr! sieh’, Du hast Bahnen,
Die staatlich, wie bei uns zu Haus,
Da statte selbst die dritte Klasse
Mit Sophas und mit Spiegeln aus;
Und richt’ es ein mit Deinen Mitteln
Fortan, daß jeder Passagier,
Statt einfach sein Billet zu zahlen,
Noch etwas ‘rausbekommt von Dir.
Du hast gewiß auch Volksschullehrer;
Wohlan, ihr Tisch sei stets gedeckt,
Es schäume auf des Lehrers Tafel,
Zum Frühstück schon ein Gläschen Sekt.
Gieb jedem, daß er sich erfreue
Der wohlverdienten Altersruh’,
Ein scharfes Scherchen und natürlich
Die nötigen Coupons dazu!
Du hast jawohl auch Indianer;
Die Leute sind entsetzlich arm,
Sie kommen niemals ins Theater,
Sie haben keins, daß Gott erbarm’!
Da klafft entschieden eine Lücke,
Die füll’ mit Deinem Gelde aus
Und lege schnell die Fundamente
Zu einem Sioux-Opernhaus.
Du meinst nun freilich nicht mit Unrecht,
Das alles reiche noch nicht zu,
Der Staatsschatz müßt’ entlastet werden
Durch einen ungleich stärkern Coup.
Da ist denn guter Rat recht teuer,
Wir sinnen hin, wir sinnen her,
Und finden nur die einz’ge Lösung:
Schaff’ Dir ein tücht’ges Militär!
Da wärst Du schnell wohl über’m Berge;
Indes, wir wissen selber ja,
Du schwärmst nicht für die großen Massen
Der Infanterie et cetera;
So bleibt Dein Schatz denn ungemindert,
Dir fehlt ein ernster Aderlaß,
Und uns bleibt nur zu bitten übrig:
Amerika, geh’ — schenk’ uns was!
Anmerkung
Die USA haben sich über den Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 massiv verschuldet, bauen aber die Schulden sehr rasch ab und haben laufend Haushaltsüberschüsse. Während das Deutsche Reich 1871 aufgrund der hohen Kontributionszahlungen aus Frankreich ohne Schulden startet, gibt es hier andauernd Defizite und Staatsschulden werden aufgebaut. Das meiste Geld wird dabei für das Militär ausgegeben.
Der Anfang des Gedichts ist eine Anspielung auf ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) aus „Zahme Xenien“: „Amerika, du hast es besser / Als unser Kontinent, das alte, / Hast keine verfallene Schlösser / Und keine Basalte. / Dich stört nicht im Innern / Zu lebendiger Zeit / Unnützes Erinnern / Und vergeblicher Streit.“
Das Gedicht ist dem Band „Anton Notenquetschers Heitere Dichtungen“ von 1894 entnommen, erschienen bei Libera Media (jetzt auch fürs Kindle):
Weitere Bücher von Alexander Moszkowski bei Libera Media(einfach auf das Bild klicken):
Anfang Juli und etwas vorher Ende Juni haben wir das letzte Mal über den Stand berichtet. Seitdem hat sich einiges getan:
Stay tuned …
[Ohne Titel, Neue Freie Presse (Wien), 13. Juli 1880]
Berlin, 12. Juli. In Theodor Mommsen’s Hause in Charlottenburg brach gestern Nachts durch eine Gas-Explosion Feuer aus, welches den Dachstuhl und den oberen Theil des HauseS verzehrte. Viele, zumeist unersetzliche Manuskripte, darunter auch zahlreiche von Mommsen selbst, sowie ein ansehnlicher Theil seiner großen Bibliothek sind verbrannt. Der Schaden ist um so bedauerlicher, als Mommsen bereits sehr umfangreiche Vorarbeiten für eine Geschichte der römischen Kaiserzeit gemacht hatte und dieselben bei einer Reise nach England demnächst zu ergänzen gedachte. Er suchte bei dem Brande mit Lebensgefahr seine Bücher und Papiere zu retten und mußte schließlich mit Gewalt zurückgehalten werden.
Anmerkung
Theodor Mommsen (1817-1903) war einer der führenden deutschen Historiker. Insbesondere für seine Werke über römische Geschichte erhielt er 1902 den Nobelpreis für Literatur. Zudem war Mommsen auch politisch tätig. 1849 nahm er am sächsischen Maiaufstand teil. Deswegen wurde er 1851 aus dem Hochschuldienst entlassen, erhielt aber recht bald schon 1852 einen Ruf nach Zürich und von da 1854 nach Breslau. Während des Preußischen Verfassungskonflikts vertrat er die Deutsche Fortschrittspartei im Preußischen Abgeordnetenhaus. Nach dem Deutschen Krieg von 1866 schloß er sich den Nationalliberalen an, zu deren linkem Flügel er gehörte. Mit der reaktionären Wende Bismarcks in den 1870er Jahren, kam es zu Zerwürfnissen. Wie andere Politiker des linken Flügels trat auch Mommsen 1880 aus der Nationalliberalen Partei aus und schloß sich der Liberalen Vereinigung („Sezessionisten“) an, für die er von 1880 bis 1884 im Reichstag saß. Insbesondere wandte sich Mommsen gegen den Antisemitismus, etwa in einem publizistischen Schlagabtausch mit dem Historiker Heinrich von Treitschke und später 1890 als einer Gründer des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“.
Siehe auch:
Die Nachrichten bekommt man ja überall um die Ohren geschlagen. Schwieriger ist es durchzuschauen, was der aktuelle Stand ist. Hier drei sehr hilfreiche Quellen:
RealClearPolitics hat eine sehr übersichtliche Seite zu den aktuellen Umfragen. Wie man sieht, gibt es verschiedene: nur Clinton und Trump, inklusive Johnson sowie inklusive Johnson und Jill Stein (Grüne). Wenn man darauf klickt, bekommt man auch nur eine Liste für die Umfragen mit zwei, drei oder vier Kandidaten, außerdem auch noch einen Durchschnitt über die letzten Ergebnisse.
Wettmärkte sind meist sehr gut darin, Ergebnisse vorauszusagen. Hierzu stellen Maxim Lott und John Stossel fortlaufend die „Election Betting Odds“ zusammen. Danach stehen die Chancen aktuell so: Clinton 73,3%, Trump 22,5% und Johnson 0,3%.
Nate Silver von FiveThirtyEight (die Zahl steht für die Anzahl der Wahlmänner, es handelt sich um eine allgemein recht interessante, sehr quantitativ ausgerichtete Website auch zu anderen Themen) ist bei den letzten Wahlen wohl der präziseste Prognostiker gewesen. Er kommt ursprünglich aus dem Sportbereich und hat die eingesessene Konkurrenz alt aussehen lassen.
Auch dieses Mal macht er natürlich wieder Vorhersagen, die laufend aktualisiert werden, wie die neue Information reinkommt. Es gibt dabei drei verschiedene Ansätze (man kann das oben links auswählen und dazwischen umschalten):
Ein wichtiger Punkt bei der Prognose ist auch noch, daß auf Staatenebene vorhergesagt wird. Schließlich entscheidet ja nicht die Stimmenmehrheit, sondern die Mehrheit der Wahlmänner. Außerdem werden noch Wahrscheinlichkeiten geschätzt für verschiedene Ereignisse (Kandidat gewinnt bei Wahlmännern, aber nicht nach Stimmen, Erdrutschsieg, usw.).
Kurze Zusammenfassung zu den aktuellen Ergebnissen:
Neue Freie Presse (Wien), 30. Juni 1880 (ohne Titel)
Die morgige Sitzung des englischen Unterhauses kann außerordentlich wichtig werden. Gladstone wird den Antrag einbringen, daß künftig jedes Parlamentsmitglied, welches den vorschriftsmäßigen Eid nicht leisten wolle, eine Erklärung an Eidesstatt abgeben könne. Die Tories werden Alles aufbieten, um Gladstone eine neuerliche Niederlage zu bereiten. Uebrigens steigt der Mann, um dessentwillen all die Stürme der vorigen Woche im Unterhause tobten, sehr in der Gunst der öffentlichen Meinung. Mr. Bradlaugh hielt am letzten Samstag, stürmisch begrüßt, eine Ansprache an eine große Versammlung auf dem Campbell Square in Northhampton und erhielt ein glänzendes Vertrauensvotum seiner Wähler. Auch in Bury (Lancashire) und in London selbst haben Meetings zu Gunsten Bradlaugh’s stattgefunden. Daraus ergibt sich, daß der religiöse Zopf, der dem Parlamente hinten hängt, dem englischen Volke nicht allgemein behagt.
Der liberale Politiker Charles Bradlaugh wurde im Jahre 1880 für Northampton in das Unterhaus gewählt. Um seinen Sitz antreten zu können, mußte er nach dem Oaths Act von 1868 einen Eid auf die Krone schwören:
„I, [… Name …], do swear that I will be faithful and bear true allegiance to Her Majesty Queen Victoria, her heirs and successors, according to law. So help me God.“
Als erklärter Atheist bat Bradlaugh am 3. Mai 1880 darum, ohne die religiöse Formel den Gehorsam an Eidesstatt zu bestätigen (to affirm), wie es auch bei Eiden vor Gericht möglich war. Die Frage wurde in einem Ausschuß am 12. Mai 1880 beraten, der aber abschlägig beschied. Bradlaugh müsse den Eid ablegen.
Bradlaugh schrieb am 21. Mai 1880 dazu einen Leserbrief an die „Times“. Er werde den Eid in der Form ablegen „including words of idle and meaningless character“. Im Parlament wurde nun von konservativer Seite die Gültigkeit eines solchen Eides angefochten. Premierminister Gladstone schlug deshalb einen weiteren Ausschuß vor, der sich aber unerwartet dagegen aussprach, daß Bradlaugh den Eid unter diesen Umständen ablegen dürfe. Ihm stehe aber offen, das vom „High Court of Justice“ überprüfen zu lassen.
Ein Vorschlag des anderen Abgeordneten für Northampton, Henry Labouchère, eine gesetzliche Grundlage für eine eine Erklärung an Eidesstatt ohne die religiöse Formel zu schaffen, fand keine Mehrheit im Parlament. Charles Bradlaugh versuchte am nächsten Tag dennoch den Eid abzulegen, was ihm aber verweigert wurde. Er hielt seine erste Rede deshalb von außerhalb der Begrenzung (behind the Bar). Es kam zu einer Debatte, den Eid doch zuzulassen, die zu nichts kam. Letzte wurde Charles Bradlaugh vom Sprecher des Hauses befohlen, das Parlament zu verlassen. Er weigerte sich aber und wurde nach einigem Hinundher verhaftet.
Das Mandat von Bradlaugh verfiel ohne die Eidesleistung, und eine neue Wahl wurde ausgeschrieben, die Bradlaugh allerdings wieder gewann. Während sich die Auseinandersetzung über die nächsten Jahre hinzog, wurde er insgesamt sogar viermal wiedergewählt. Eine Petition zu seinen Gunsten fand die Unterstützung von Hundertausenden, und auch Premierminister Gladstone stellte sich auf Bradlaughs Seite. Gegner waren hingegen neben der Konservativen Partei die Anglikanische und die Katholische Kirche.
Im Jahre 1883 nahm Bradlaugh seinen Sitz im Parlament einfach eigenmächtig ein und nahm dreimal an Voten teil. Hierfür wurde er verhaftet und wegen illegaler Abstimmung zu eine Geldstrafe verurteilt. Erst 1886 konnte Charles Bradlaugh den Eid schließlich doch noch ablegen. Er schlug als Abgeordneter nun eine Reform der Gesetzgebung an, was mit dem Oaths Act von 1888 erfolgreich war, der auch einen Eid ohne die religiöse Formel möglich machte.
Dieser Beitrag ist Teil der Berichterstattung aus dem Jahr 1880.
Berliner Tageblatt, 29. Juni 1880
Einem Amerikaner, welcher im Secessionskriege ein Bein verloren hat, ist es nach Jahre langen Versuchen gelungen, künstliche Beine von größter Vollkommenheit anzufertigen. Der Mann der sich augenblicklich in Berlin aufhält, geht nicht allein ohne Stock mit Leichtigkeit, sondern vermag sich auch am Kegelschieben und Billiardspiel zu betheiligen, sogar ein Tänzchen zu wagen. Er hat seine Erfindung vom Reichspatentamt patentiren lassen und sucht dieselbe in Deutschland zu verwerthen.
Siehe auch:
Dieser Beitrag ist Teil der Berichterstattung aus dem Jahr 1880.
„Gehen wir nun, nach diesem Ueberblick der verschiedenen gesetzlichen Institutionen, wie sie sich, in buntester Mannigfaltigkeit und doch mit gewissen gemeinschaftlichen Grundanschauungen, in den einzelnen deutschen Staaten entwickelt haben, über zu der Betrachtung ihres Verhältnisses zu der Freizügigkeit (die eigentlich kein politisches Recht ist, sondern eine Negation vernunftswidriger Beschränkungen und der Anspruch auf Wiederherstellung eines angeborenen Menschenrechts, eine Forderung, welche sich aus dem sozialen und wirthschaftlichen Charakter der menschlichen und bürgerlichen Gesellschaft ergiebt), so wird man vielleicht erwarten, dass wir eine Begründung und Rechtfertigung dieser Forderung der Freizügigkeit vorausschicken.
Allein wir glauben dies aus mehreren Gründen unterlassen zu können. Erstens verhält es sich mit dem Beweise der Nothwendigkeit der Freizügigkeit etwa eben so, wie mit dem Beweise, dass man berechtigt ist, mit seinem eigenen Auge zu sehen, oder mit seiner eigenen Nase zu riechen. Er ist eben so leicht und eben so schwer zu führen, wie dieser; und es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass Derjenige, welcher Beschränkungen einer natürlich-menschlichen und allgemein-bürgerlichen Freiheit verlangt, seinerseits den Beweis der absoluten Nothwendigkeit derselben zu führen hat.“
—
Karl Braun: Studien über Freizügigkeit, 1863, S. 54-55 (S. 24-25 der Neuausgabe):
Wie letztens berichtet, war die Zahl der neuen Likes für die Facebookseite von Gary Johnson deutlich angestiegen (etwa 30.000 pro Woche). Zwischenzeitlich fiel sie wieder zurück und momentan kommt sie auf das Niveau zurück und es sieht danach aus, als wenn sie sogar darüber ansteigen wird.
Was ebenfalls stark gewachsen ist, ist die Anzahl derjenigen, die über die Seite sprechen. Noch vor wenigen Wochen lag diese unter 100.000, jetzt sicher über 300.000. Auch bei Alexa sieht es für die Kampagnenwebsite nach einem kontinuierlichen Anstieg aus. Man liegt aber doch noch weit unten und ist wohl bei wenigen auf dem Radar.
Vorteilhaft war für Gary Johnson sicherlich der Auftritt auf CNN, wo er und Bill Weld einen „Townhall“-Termin bekamen mit Fragen aus dem Publikum und fast einer Million Zusehern. Etwas erstaunlich, daß das sonst stramm demokratische CNN hier Softball spielen will. Aber dahinter könnte vielleicht die Überlegung stecken, daß man Trump eher schadet, oder man möchte etwas Spannung in den Wahlkampf bringen und eine Geschichte entwickeln. Hier sind die vier Teile des gesamten Programms via Libertarian Party: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.
Inhaltlich hatte der Auftritt ein paar Durchhänger. Zum Beispiel wurden recht lahme Positionen angeboten, wo man hätte weitergehen sollen. Aber dann ist das Ziel hier auch eher, Leute interessiert zu machen und den „Median Voter“ zu jagen, der schnell verschreckt wäre. Aber selbst wenn man das zugesteht, war so manches unkonturiert, schlecht rübergebracht und widersprüchlich. Einziger Trost: in praktisch allen Punkten besser als die Konkurrenz (oder auch jede Partei in Deutschland und auch besser als Ron Paul oder erst recht Rand Paul).
Das Ziel könnte aber vielleicht doch erreicht worden sein, mit dem Gary Johnson in die Sendung ging: eben nicht als extrem zu erscheinen und als sympathischer Kandidat. Viel kritisiert wurde seine sanfte Haltung den beiden anderen Kandidaten gegenüber. Aber eigentlich zeichnet ihn das aus, sich nicht in die Schlammgrube zu stürzen. Das war auch schon sein Erfolgsrezept bei seinen Kandidaturen in New Mexico: niemals den Gegner persönlich angreifen.
Eher irritierend wirkte dabei je nachdem Bill Weld, der sich das Programm von Johnson kaum angeschaut zu haben scheint und als gemäßigter Republikaner rüberkommt, der etwas gegen Trump hat und das auch persönlichnimmt. Nicht die schlimmste Position, aber auch nicht beeindruckend, insbesondere wenn die Widersprüche der beiden offensichtlich werden und Weld Johnson konterkariert. Dafür kommt er telegener rüber, während Johnson überkonzentriert und überbemüht ist, was eher nach hinten losgeht, besonders wenn er immer wieder dieselben Formulierungen hintereinanderreiht, sich dabei dann aber auch noch öfters verhaspelt.
Die Chancen zu gewinnen, sind immer noch minimal, wenn auch vielleicht nicht null. Daniel Pearson bei Cato hat eine optimistische Sicht darauf: Jesse Ventura and Gary Johnson. Allerdings ist Jesse Ventura vielleicht noch telegener als Donald Trump und kann von daher allein als Person schon ziehen. Er hat auch einen sehr hohen Unterhaltungswert. Johnson kommt dagegen blaß rüber, was aber vielleicht auch kein Makel sein muß, wenn er sich damit wohltuend von schillernden Konkurrenten abhebt.